Rolf Todesco

Radikale Dialektik

Eine Theorie zum Dialog

Dialektik heisst die Lehre von der Aufhebung des Widerspruches. Die Formel These - Antithese - Synthese soll diese Aufhebung ausdrücken. Sokrates wollte durch dialektische Gespräche zur Wahrheit kommen, bei Hegel steht Dialektik als allgemeines Gesetz jeder Entwicklung, Marx hatte mit seiner Dialektik nur noch die Entwicklung des Proletariats im Auge. Im vulgären Sinn, etwa bei Engels werden alle Ueberlagerungen von Ursachen als dialektisch bezeichnet. Popper hat Dialektik als Verwendung von Widersprüchen im Beweisverfahren diffamiert.

Als Radikale Dialektik bezeichne ich die Konzentration auf den ausgesprochenen Widerspruch. Engels etwa sieht die Umlaufbahn des Mondes um die Erde als Synthese der sich widersprechenden Kräfte der Trägheit und der Erdanziehung. Marx sieht einen Widerspruch zwischen dem Gebrauchswert und dem Tauschwert einer Ware. Im radikalen Sinne der Dialektik stelle ich mir die Frage, wer spricht, wer widerspricht wem. Widerspruch im radikalen Sinn liegt nur dort vor, wo gesprochen wird. Und bisher habe ich nur Menschen sprechen hören. Ich weiss nicht, warum oder inwiefern die Trägheit der Massenanziehung widersprechen soll. Ich weiss aber im Sinne von Marx, warum ein Lohnarbeiter und ein Kapitalist sich widersprechen können.

Bei Sokrates behandelt die Dialektik den logischen Widerspruch, in welchen sich sein Gesprächspartner verstrickt. Sokrates widerspricht nicht, er hilft seinen Schülern ihre Widersprüche zu erkennen, und zwar solange, bis sie Sokrates's Wahrheiten gefunden haben. Bei Popper können Experimente den Hypothesen der Foscher widersprechen, Prigogine spricht mit der Natur und bekommt widersprüchlich scheinende Antworten. Hegel könnte ein zu spät gebornener Schüler von Sokrates sein. Er findet die Widersprüche selbst, weil er alles mit seiner pänomenalen Logik, die den absoluten Geist repräsentiert, untersucht. Marx hat in seinen Feurerbach Thesen gesagt, dass die Philosophen - er schlug den Sack und meinte den Hegel - lange genug "philosophiert" haben, es komme darauf an, die Welt nicht zu verstehen, sondern zu verändern. Ich lese das so: Ich soll die Welt nicht erkennen, sondern konstruieren.

Als Radikale Dialektik bezeichne ich die Untersuchung der Bedingungen des Widerspruches. Unter welchen Bedingungen widersprechen sich Menschen? Auf der Ebene des Gespräches gibt es Widerspruch im Monolog

Bei Kant ist die Dialektik noch dem besten Zweck untergeordnet. Hegel hat die Dialektik aus dieser funktionalen Einbindung befreit. (Hier ist eine Geschichte der Dialektik geplant: Hegel hat die Dialektik zwar aus der Kantschen Einbindung befreit, er hat sie aber als Prinzip verabsolutiert und ist so politisch hinter Kant und die Aufklärung zurück gefallen. Erst Marx begriff die Dialektik als Theorie des Dialoges. Da Marx den Dialog als Klassenkampf aber funktional eingebunden hat, ging ihm der Charakter des Dialoges wie er von Buber entwickelt wurde verloren. Der kategorische Imperativ und der Klassenkampf sind ethische Werte, die man Hegels Geist und Bubers Du-Gott vorziehen kann - aber meine Entscheidung liegt bei mir, nicht in irgendeiner Sache). (aus Hyperkommunikation).